Praefatio

Die Antike zählt und rechnet mit Zahlzeichen, die gleichzeitig Buchstaben sind. Dieses Phaenomen, welches der Moderne fremd, ja absurd ist, reizt zu geistreichen Anwendungen, nicht nur spielerisch, sondern auch zu ernsthaften Zahlenver-schlüsselungen in Wörtern und Sätzen (Franz Dornseiff, Das Alphabet in Mystik und Magie, Leipzig: Teubner 1922).

Als berühmtes Beispiel mag gelten der Zahlenwert des Tieres in der Apokalypse, seine Zahl ist sechshundertsechs-undsechzig (Offbg. 13,18 ). Das Chronogramma – auch Chronographon, Chronostichon, Chronodistichon – ist in diesem Rahmen der Verschränkungsmöglichkeiten von Wortsinn und Zahlenwerten eine relativ späte Erscheinung, weil erst nach der weitgehenden Ausbreitung der christlichen Kalenderzählung (Dionysius Exiguus, Beda Venerabilis) dieses allgemeine Bezugssystem der Jahreszahlen für Chronogramme möglich wird.

Vereinzelt treten Chronogramme erst im hohen und späten Mittelalter auf, ihre Hochzeit ist das 16. - 18. Jahrhundert (z.B. Abt Benedikt Knittel und das Kloster Schöntal als literarisches Denkmal, bearbeitet von Friedrich Albrecht, Marbacher Magazin 50/1989, Deutsche Schillergesellschaft Marbach am Neckar).

Im 19. Jh. geht diese Leidenschaft für Chronogramme zurück, erst recht bei den abnehmenden Lateinkenntnissen des 20. Jhs., aber bleiben wird die Lust an dieser geistreichen und spielerischen Herausforderung für Liebhaber der lateinischen Sprache auch in der Zukunft des 21. Jhs. Dieses Zweiglein an einem Aste des gewaltigen Baumes der lateinischen Literatur wird nicht ganz verdorren, dessen bin ich sicher.

Chronogramme, bei denen nicht alle römischen Zahlzeichen hervorgehoben und gezählt werden, sind recht einfach und "zwanglos" zu machen. Ich ziehe als Purist die genauen Chronogramme vor, die mit ihrem beschränkten Wortschatz und – bei Versen – mit noch erschwerter Tüftelei dann allerdings auch manchmal den klaren Sinn etwas verbiegen und verkünsteln mögen. Natürliche Chronogramme, deren Zahlbuchstabenfolge auch als richtige Jahreszahlenfolge erscheint, sind sehr selten (z.B AMOR MAIOR SIT = MMII).

Aber allzu schwierig ist es nun auch wieder nicht, Chronogramme zu machen! Probieren Sie es einfach mal nach dem Motto: Dimidium facti qui bene coepit habet.

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